Literary Translations
I also publish and perform in German
In a series of mutually inspiring collaborative projects, philologist Agnes Bethke and I translated a set of texts called People Crackers that I’d written and performed in English into German for me to perform them; translated a poem by American poet Donna Stonecipher into German for a Berlin competition; and published a translated passage from a recent German novel by Tilman Strasser (Hasenmeister) in No Man’s Land, a journal of literary translation.
In einer Reihe von kollaborativen Projekten, die wir beide als gegenseitig fruchtbar erlebten, haben die Philologin Agnes Bethke und ich acht meiner Texte, die ich auf englisch unter People Crackers veröffentlicht hatte, ins Deutsche übersetzt. Ebenfalls übersetzten wir ein Gedicht der amerikanischen Dichterin Donna Stonecipher für einen Berliner Wettbewerb ins Deutsche. Und wir veröffentlichten eine übersetzte Passage aus einem neuen deutschsprachigen Roman von Tilman Strasser (Hasenmeister) in No Man’s Land, einer Zeitschrift für literarische Übersetzungen.
In a reflection on our working method for No Man’s Land, we wrote: “The first stage of our translation process is that each of us does a complete translation. We then meet and present our versions to each other. What we particularly enjoy about our method of joint translation is the dialogue inherent in a good translation: what was the author really saying? And how can this be said best, most aptly in the other language, while somehow remaining close to the feel of the original?”
Franz verliebt sich aus People Crackers – deutsch, 2013
Verzaubert aus People Crackers – deutsch, 2013
Donna Stonecipher’s Intarsie 22 (Elfriede Jelinek nach Lenin), 2013
Tilman Strasser’s Hasenmeister, 2016
Franz verliebt sich
Franz war immer mit einer Anderen. Ich glaubte zu wissen, was er in seiner Ehefrau Anne gefunden hatte – und damit implizit auch zu verstehen, was ihm bei mir gefehlt hatte in jenen Jahren, in denen er in meiner Phantasie herumspukte. Anne, so meinte ich zu verstehen, war ein Sparringpartner aus seinem Fachbereich, und vermittelte ihm Beständigkeit, Treue und Rückhalt. Ich fand sie zwar unscheinbar, aber nicht hässlich. Wenn ich sie bei gesellschaftlichen Anlässen zusammen sah, reizte mich, wie sehr sie hinter ihn zurücktrat. Er neigt dazu, sich polemisch zu ereifern, und dominiert das Gespräch mit extremen Ansichten, um zu schauen, wie die Menschen um ihn herum reagieren. Mit seinen nunmehr 47 Jahren noch genauso wie damals, als ich ihn traf, und wir beide 24 Jahre jünger waren. Für mich war das Teil seiner Masche als österreichischer Intellektueller – „Wir lieben es, unser Land und unsere Landsleute zu verachten!“ à la Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek; eine Ironie und ein Kulturpessimismus, die jede seiner Äußerungen einfärbte. Und Anne ließ zu, dass er sich echauffierte. Nie war sie anderer Meinung. Sie rollte nicht mit den Augen, als hätte sie das alles schon mal gehört. Stattdessen nickte sie und bestätigte, dass eine kürzliche Maßnahme der amerikanischen Außenpolitik tatsächlich ganz unmöglich sei, oder dass ein zeitgenössischer deutscher Komponist tatsächlich von der Presse bisher sträflich vernachlässigt worden war. Es schien ihr zu genügen, ganz in seinen Leidenschaften und Ansichten aufzugehen.
In ihrer über zehnjährigen Beziehung habe ich ihn öfter allein als die beiden zusammen getroffen, etwa einmal im Jahr. Es knistert immer noch zwischen uns.
Irgendetwas in mir ist immer noch genauso empfänglich wie vor einem Vierteljahrhundert für die Art, wie er mich mit den Augen verschlingt, oder wie er eine flüchtige Berührung in eine erregende verwandeln kann. Ich nehme ihn als sexuelles Wesen wahr; seine Erregbarkeit schwebt immer knapp unter der Oberfläche und wartet nur darauf, dass die Frau, die er attraktiv findet, einwilligt. Ich habe beides schon gesagt: ja und nein – je nach meiner eigenen Gefühlslage.
Als wir uns ein paar Tage vor Weihnachten auf einen Kaffee trafen, unterhielten wir uns über unsere Arbeit, die Familien und andere Projekte. Trotz der ungezwungenen Wärme zwischen uns, ging uns nach 45 Minuten der Gesprächsstoff aus. Das war der Moment, in dem Franz mir erzählte: „Was mich in diesem Jahr wirklich sehr aufgewühlt hat, habe ich noch nicht vielen Menschen erzählt. Ich habe eine Affäre.“ Und er habe sich in einer derartigen Intensität verliebt, wie er sie zuletzt vor 20, 30 Jahren erlebt hätte. Er habe nicht gewußt, daß diese Intensität überhaupt noch möglich sei! Nicht, daß er in der Vergangenheit abgeneigt gewesen wäre, wenn es was gegeben habe, was ihn ansprach … aber dies habe ihn einfach umgehauen!
Ich wollte, dass Franz das Gefühl hat, dass er mir alles erzählen kann. In unserer gemeinsamen Geschichte gibt es nämlich Vertrauensprobleme: Damals, als wir uns nacheinander verzehrten und die Funken nur so sprühten, wenn wir uns Bach und Jazz auf dem Klavier vorspielten, wollte ich meinem amerikanischen Freund von ihm erzählen. „Spinnst Du? Auf keinen Fall!“ sagte er. Er selbst sah keinerlei Veranlassung, seiner Freundin von mir zu erzählen. Als ich – drei Jahre und viele Briefe später – in Berlin ankam und die gemeinsamen Nachmittage oder Abende genoß, die wir alle paar Wochen miteinander verbrachten, erzählte ich einer Bekannten, dass ich „wegen Franz“ in der Stadt sei. Sie fragte ihn danach. Er war sehr aufgebracht: „Das stimmt einfach nicht, und Du darfst das nicht sagen. Was ist, wenn Bettina das hört? Immerhin lebe ich mit ihr, verstehst Du! Bevor Du überhaupt nach Berlin gekommen bist, habe ich ganz klar die Bedingungen aufgestellt, unter denen wir Zeit miteinander verbringen können!“ Er bestrafte mich für die Grenzüberschreitung, indem er mir auf Jahre seine Zuneigung und Vertrautheit entzog.
Daher war ich sehr erpicht darauf, im Rahmen der gelegentlichen Nähe unserer langjährigen Freundschaft seines Vertrauens für würdig befunden zu werden.
„Weißt Du?“ Eine leichte Verlegenheit war seiner Stimme anzuhören. Das klinge jetzt sicher wie ein Klischee. Und er sei sich sehr bewußt, daß das, was er da erzähle, nicht gerade zum ersten Mal in der Geschichte von Männern und Frauen passiere. Aber...das Unglaublichste sei … als sie endlich miteinander geschlafen hätten, wären sie einfach ineinandergeschmolzen und wirklich eins geworden. Und sie beide hätten das gespürt! Einfach erstaunlich sei das gewesen!
Was habe ich nicht alles geopfert, um mit ihm eine Ebene zu erreichen, auf der er mir ein so intimes Geständnis macht?
Ich denke natürlich zurück an unseren Sex. Ich denke an die Male, bei denen er mich bis zum Orgasmus stimulierte, aber sich von mir nicht berühren ließ, da er am Abend zu seiner Freundin zurückkehrte – das waren seine Spielregeln. Unser gelegentlicher Sex über die Jahre belief sich darauf, einigen wenigen Minuten etwas Lust abzutrotzen: dann, wenn meine Schwester endlich zu Bett gegangen war, oder kurz bevor er zu einer Freundin zurückging. Und immer stand ein Tabubruch im Raum. Aber: schmolzen wir ineinander und wurden eins? Nein. Wie hätten wir das auch können mit all den Einschränkungen und Vorbehalten und den Schuldgefühlen und der ständigen Heimlichkeit?
***
Einmal, als ich in Holland lebte, besuchten er und Anne mich für ein paar Tage. Während sie im Bad war, sagte er: „Das ist bestimmt nicht gerade einfach für Dich. Ich bitte Dich um Dein Verständnis. Es geht nicht anders.“ Ich weiß nicht, ob er damit sagen wollte: „Deine Privatsphäre mit uns zu teilen, widerspricht wahrscheinlich dem Traum, den Du immer hattest: dass wir zusammen sind.“ Oder ob er eher meinte: „Wenn ich Dich allein besuchen würde, könnten wir wahrscheinlich wieder einmal den wunderbaren Modus von ‚Freundschaft plus’ leben. Aber dieses Mal ist es nicht möglich.“ Er hat mir nie erzählt, welche Rolle ich in seinen Gedanken gespielt habe.
***
Franz fuhr fort, von seiner Affäre zu erzählen: „Junge Leute heutzutage – die werden 26 und haben noch nie mit jemandem zusammengelebt! Ich bin mit meiner Freundin zusammengezogen, als ich 17 war. Sie kennt die einfachsten häuslichen Rituale nicht! Kurz nachdem wir zusammengekommen sind, habe ich für sie gekocht – und das alles hatte sie noch nie erlebt, diese einfachen Rituale wie zusammen kochen, zusammen essen, zusammen abwaschen.“
Er erinnert sich nicht mehr daran, dass er im Sommer 1984 für mich kochte, als ich ihn in Österreich besuchte. Ihm fällt nicht ein, wie gerührt ich war, als er mich in seine Küche setzte und für uns beide etwas Leckeres zu essen vorbereitete. Ich hatte schon mit meinem Freund zusammengelebt. Aber die Wärme und Geborgenheit dieser Tradition des Gebens – diese europäische Art, das Brot gemeinsam zu brechen – die zeigte er mir als erster.
Also redet er davon, wie wundervoll es mit ihr ist. Und ich stelle mir die beiden vor. Aber ich sehe auch uns zwei, und denke, dass wir nur einmal ein bisschen häusliche Vertrautheit erlebten. Und ich nehme ihr – und vielen anderen Frauen – übel, dass sie eine Nähe mit ihm erreichten, die mir versagt blieb.
Verzaubert
Carla stand gern im Mittelpunkt. Sie hatte eine Art, Augenkontakt zu halten, die einen völlig in den Bann schlug. Sie erzählte uns, daß sie adoptiert wäre, wohingegen ihre jüngeren Geschwister die wirklichen Kinder ihrer Eltern seien. Wir, eine kleine Clique von Mädchen, die Carlas Zauber verfallen waren, kannten niemanden, der adoptiert war. Carla erklärte sich damit ihr Gefühl der Fremdheit zuhause, und warum zum Beispiel niemand ihr musikalisches Talent richtig förderte.
Sie erzählte uns auch, sie sei eine Hexe, die über die Kraft verfügte, Gegenstände zu bewegen und Dinge um sie herum zu verändern, wenn niemand guckte. So etwas in der Art wie Samantha in Verliebt in eine Hexe: ein gebieterisches Wackeln mit der Nase und schon geschah alles, wie sie es wollte. Sie hat uns nie einen direkten Beweis ihres Könnens geliefert. Aber es schien eine gute Idee, sich in diesem Punkt nicht mit ihr anzulegen.
Ich gehörte ihrem inneren Zirkel mit widerstrebenden Gefühlen an. Ich wollte nicht glauben müssen, was sie da behauptete. Mein allgemeiner Zweifel an Zauberei wurde vielleicht auch durch meinen Vater genährt, der an die Erklärbarkeit der Welt durch die Wissenschaften glaubte. Doch war es auch nicht gerade so, daß sich die Leute in der dritten Klasse darum geprügelt hätten, mit mir befreundet zu sein. Ganz entgegen ihrer sonstigen Art ließ meine Mutter einmal in meiner Anwesenheit fallen, daß sie Carlas Vater, einen rauen Physikprofessor, attraktiv fände. Jedes Mal, wenn wir bei Carla spielten, beobachtete ich ihn.
Ab der neunten Klasse hatten wir wieder mehr miteinander zu tun. Der Song „Le Freak“ von Chic lief im Radio, und der College-Sender informierte uns darüber, daß Nackt-durch-die-Gegend-flitzen gerade ein ganz heißer Sport auf dem Campusgelände sei. Eines Abends redeten Carla und Sally und ich uns die Köpfe darüber heiß, daß wir nun selber einmal ‚flitzen‘ wollten und wer damit beginnen solle. Ich meldete mich freiwillig als „Flitzer“, bis mir einfiel, daß ich eine unförmige Damenbinde trug, die ich nicht herausnehmen, aber mit der ich auch nicht rennen wollte.
In jenem Jahr waren wir von dem umwerfend gutaussehenden Peter B. besessen, der von einer anderen Schule zu uns gekommen war. Ich fand immer wieder einen Vorwand, um an seinem Haus vorbeizuradeln, in der Hoffnung, er würde just in diesem Augenblick das Haus verlassen oder nach Hause kommen. Carla bestand darauf, daß ihre Gefühle stärker seien als meine und zwang mich dazu, ihn in einem McDonalds anzusprechen und ihm zu sagen, daß sie ihn sehr mochte. Warum habe ich mich darauf eingelassen?
Gegen Ende der High School setzte sie sich in den Kopf, daß wir ein paar Billy-Joel-Songs gemeinsam einstudieren und aufführen sollten. Ich ahnte schon damals, daß ich keine gute Rockpianistin war, weil ich nicht recht wußte, was hier jenseits der gedruckten Noten von mir erwartet wurde. Und wo sollten wir überhaupt auftreten, wenn wir noch nicht einmal alt genug waren, um Alkohol zu kaufen?
Sie ging viel mehr mit Jungs aus als ich. Sie fragte: „Was machst DU so? Bei mir endet es immer damit, daß ich ihnen eine Pranke anlege … sie sind so unheimlich dankbar!“ Das war das einzige Mal in meinem Leben, daß ich jemanden den Ausdruck „eine Pranke anlegen“ verwenden hörte, wenn es darum ging, jemandem einen runterzuholen. Was war sonderbarer: ihre Wortwahl? Ihre herablassende Haltung gegenüber der männlichen Lust? Oder ihre Gleichgültigkeit gegenüber meinem Mangel an vergleichbaren Erfahrungen?
Neben ihrem betörenden Selbstbewußtsein war Carla mit schönen Gesichtszügen und einer schlanken, wohlproportionierten Figur ausgestattet. Einmal holte sie mich ab, um gemeinsam etwas trinken zu gehen. Ich sah eine riesige, bauschige pinke Daunenjacke, viel Make-up, eine wohlbedachte, aufgesetzte Art der Weiblichkeit – weiblich in einer ganz anderen Art, als ich es sein wollte. Meine Mutter und meine Tante hingegen schwärmten: „Sie ist so eine Schönheit geworden! Was für ein entzückendes Mädchen!“
Drei Jahrzehnte später kamen wir über das Wunderwerk Internet wieder in Kontakt. Sie lud mich und meinen Mann zum Abendessen in ihrem Haus in den Hügeln von L.A. ein. Es regnete in Strömen und wir waren von dem kurzen Weg zwischen Auto und Haustür ganz durchnäßt. Sie duschte noch, als wir ankamen, also lernten wir ihren Ehemann und ihren Hund kennen, bekamen eine Führung durchs Erdgeschoß. Als sie schließlich erschien – perfekt gestylt in einem schwarzen Turtleneck-Pullover mit schulterlangen, glänzenden, blonden Haaren und glitzerndem Schmuck – versuchte sie sofort wieder, ihren Zauber spielen zu lassen: die Welt, wie Carla sie sieht. Sie erzählte uns die märchenhafte Story, wie sie und ihr Mann sich im letzten Studienjahr kennengelernt hatten. Huldvoll machte sie genau kalkulierte Pausen, in denen er seinen Redebeitrag leisten durfte: „Auf der Party wollte ich sie ansprechen. Aber sie schien mit einem anderen Typen völlig im Gespräch versunken. … Ich wußte sofort, daß sie die Richtige war, aber sie wollte gerade die Stadt für ein Praktikum verlassen.“
Carla erzählte uns von ihren Nachbarn im Topanga Canyon, und davon, wie seltsam und ungewöhnlich diese sie fänden. Die Straße habe etwas vom Film Die Frauen von Stepford. Sie sei die einzige normale Person, die hier lebe. Aus irgendeinem Grund sei es ihr Schicksal, unter diesen Aliens zu weilen. Ihr zehnjähriger Sohn kam nach Hause und stimmte in den allgemeinen Lobpreis Carlas ein: „Meine Mutter ist einfach die allerbeste Mutter der Welt.“
Sie hatte einen Doktortitel in Psychologie gemacht und sich auf Stalken spezialisiert. Sie hatte vor, mit Schauspielerinnen in L.A. zu arbeiten, die sich vor Stalking schützen wollten. Auch musikalisch hatte sie sich weiterentwickelt: Sie war dabei, ein Album mit Kinderliedern zusammenzustellen, die sie selbst geschrieben hatte – jedes handelte von einem anderen Tier. Als sie später ihre Gitarre hervorholte, setzte ihr Sohn sich ihr zu Füßen und bat: „Bitte, Mama, bitte: spiel' mein Lieblingslied von all Deinen Songs!“
Nicht nur der Kult um Carla war intensiv geblieben. Auch die Geschichte ihrer Adoption hatte eine neue Wendung genommen. Sie hatte ihre leibliche Mutter kennengelernt und war überrascht zu erfahren, daß sie eine leibliche Schwester hatte. Ihre Mutter war ein Party-Girl gewesen und hatte mit dem gleichen Mann zweimal denselben Fehler begangen. Und wieder hatte sie sich entschieden, das Kind zur Adoption freizugeben. „Meine Schwester“, sagte Carla und zeigte auf ein Foto auf der Anrichte, „sieht genauso aus wie ich!“ Und war das nicht wunderschön und unheimlich aufregend?
Ich fragte sie nach der Familie, in der sie aufgewachsen war. Immerhin hatte ich sie damals gut gekannt. Carla sagte abweisend, daß ihre Mutter und Schwester über die neuen Entwicklungen sehr empört gewesen seien, sie als böse, undankbare Person abstempeln würden, daß sie einfach die schlimmsten Dinge hinter ihrem Rücken über sie erzählten, und daß sie den Kontakt praktisch abgebrochen hätten. Auch wenn sie es nicht so ausdrückte: Ihre Adoptivfamilie hatte erkannt, daß sie tatsächlich eine Hexe war.
For a competition calling itself Tatwort. Die Übersetziade, Agnes and I translated the poem “Inlay 22 (Elfriede Jelinek, by way of Lenin)” into German. The poem was originally published in Donna Stonecipher’s award-winning volume The Cosmopolitan.
Für einen Wettbewerb namens Tatwort. Die Übersetziade übersetzten Agnes und ich das Gedicht “Inlay 22 (Elfriede Jelinek by way of Lenin)” ins Deutsche. Das Gedicht erschien ursprünglich im preisgekrönten Band von Donna Stonecipher The Cosmopolitan.
Inlay 22 (Elfriede Jelinek by Way of Lenin) by Donna Stonecipher
1.
In Cologne we bought cologne. In Morocco we bought morocco. In Kashmir we bought cashmere. Then, our suitcases stuffed, we flew back home to New York City, where we drank manhattan after manhattan until ill-advisedly late into the evening.
2.
“I’m an anarchist,” said the poet. “You’re spoiled,” said his girlfriend. A line of people in masks paraded by. And then the lights dimmed, and the one true anarchist was suddenly spot-lit in the crowd: a little girl with an ice cream sandwich melting in her bag.
3.
The beautiful people wanted to go only to places where there were other beautiful people, in cafés and restaurants and bars, and puffed nervously on their cigarettes when the number of ugly people shown to tables seemed to be reaching critical mass.
4.
You like to be told what to do. You like to be shown to your plug and to glow in it like a nightlight. You like to be clued in, strapped on, knuckled under. You like to be held down and liquored up. You like to be scooped out, bowled over, seen through.
“Trust is fine, but control is better”
5.
Forking over our dollars, we hatched a grand plan for the overlapping economy: Let the French take care of the perfumes; the Dutch of the tulips; and the Italians of the leather shoes. Each would be a department in the department store in the Great Mall.
6.
She wrote, I want to be seen through. He wrote, But you are deliberately opaque. She wrote, I want people to want to work hard to see through my (really quite superficial) opacity. He wrote nothing back. She waited, but he wrote nothing back.
7.
You like to go from room to room drowning yourself in dahlias. You like to stand in a crowd and implode and implode till all your individuality melts. You like to be underneath, on top, afloat. But it thrills you to hear your name in a stranger’s mouth.
8.
Was it good or bad when the foreigner was said to be “more French than the French”? She of the huge hats and humble origins was “more bourgeois than the bourgeois.” And the cosmopolitan was more cosmopolitan than the cosmos itself.
9.
We bought china in China. We bought tangerines in Tangier. You bought turquoise in Turkey, and I bought an afghan in Afghanistan. I bought india ink in India, and you bought an indiaman in India. But nowhere did we relinquish any little bit of ourselves.
Intarsie 22 (Elfriede Jelinek nach Lenin) von Donna Stonecipher
1.
In Panama kauften wir Panamas. In Norwegen kauften wir Norweger. In Kaschmir kauften wir Kaschmir. Mit vollgestopften Koffern flogen wir dann nachhause, zurück nach New York City, wo wir Manhattan auf Manhattan tranken bis unvernünftig spät in die Nacht.
2.
Ich bin Anarchist“, sagte der Dichter. „Du bist verwöhnt“, sagte seine Freundin. Eine Reihe von Menschen in Masken zog vorbei. Und dann wurden die Lichter gedimmt, und der eine wahre Anarchist wurde plötzlich in der Menge angestrahlt: ein kleines Mädchen mit einem Sandwich-Eis, das in seiner Tasche schmolz.
3.
Die schönen Leute wollten nur an Orte gehen, wo andere schöne Leute waren, in Cafés und Restaurants und Bars, und sie zogen nervös an ihren Zigaretten, wenn die Anzahl hässlicher Leute, die an Tische geführt wurden, eine kritische Masse zu erreichen schien.
4.
Du magst, wenn man Dir sagt, was Du tun sollst. Du magst, wenn man dich zu deiner Steckdose führt und darin zu glimmen wie ein Schlummerlicht. Du magst, ins Bild gesetzt, festgeschnallt, unterworfen zu werden. Du magst, festgehalten und abgefüllt zu werden. Du magst, ausgehöhlt, umgehauen und durchschaut zu werden.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“
5.
Während wir unsere Dollars hinblätterten, heckten wir einen grandiosen Plan für die eng verzahnte Wirtschaft aus: Lass die Franzosen sich ums Parfum kümmern, die Holländer um Tulpen, und die Italiener um Lederschuhe. Jeder wäre eine eigene Abteilung im Kaufhaus in der großen Shopping Mall der Welt.
6.
Sie schrieb, Ich will durchschaut werden. Er schrieb, Aber du bist gewollt undurchsichtig. Sie schrieb, Ich will, dass Menschen sich richtig anstrengen wollen, durch meine (doch recht oberflächliche) Undurchdringlichkeit hindurchzuschauen. Er schrieb nichts zurück. Sie wartete, aber er schrieb nichts zurück.
7.
YDu magst es, von Raum zu Raum zu gehen und in Edelpelargonien zu ertrinken. Du magst, in einer Menschenmenge zu stehen und zu implodieren und zu implodieren, bis all Deine Einzigartigkeit schmilzt. Du magst es unten drunter, obenauf, im Wasser treibend. Aber es gibt Dir einen Kick, wenn du deinen Namen aus dem Mund eines Fremden hörst.
8.
War es gut oder schlecht, als vom Ausländer gesagt wurde, er sei „französischer als die Franzosen“? Sie mit den großen Hüten und den bescheidenen Anfängen war „spießiger als die Spießbürger“. Und der Kosmopolit war kosmopolitischer als der Kosmos selbst.
9.
Wir kauften Chinin in China. Wir kauften Tabak in Tobago. Du kauftest Türkise in der Türkei und ich kaufte einen Perser in Persien. Ich kaufte arabische Gewürze und Du kauftest einen Araber. Aber nirgendwo gaben wir auch nur ein bisschen von uns selbst preis.
Hasenmeister by Tilman Strasser
Agnes and I chose two passages from Tilman Strasser’s Hasenmeister. The first related to musical training and the role of music teachers in serious music making; the second to a violinist paralyzed in a ski accident, brought back to the ability to move by a young boy playing Bach’s Well-Tempered Clavier.